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Einfach hinsetzen und sterben...
Geschrieben von: orotl   
Mittwoch, den 04. Juni 2008 um 00:00 Uhr
... diese Gedanken kann ich seit diesem Wochenende gut nachvollziehen.

Noch nie in meinem Leben bin ich meinen körperlichen und pysischen Grenzen so nahe gekommen.
Die Gründe dafür waren vielfältig, aber schön der Reihe nach...

Vorwort
Die Fotos sind nur Teilausschnitte und teilweise mit den Originalen verlinkt.
Die Mächtigkeit und Schönheit dieser Tour kommt auf den kleinen Bildern nicht richtig zur Geltung, deswegen wollte ich euch die Originalfotos zum Reinzoomen nicht vorenthalten.
Zum Lesen der Geschichte ist es durchaus von Vorteil sich die Topo von www.bergsteigen.at des Klettersteiges anzusehen.


Die Vorgeschichte
Ende September 2006.
'Gehst mit auf den Königsjodler?' erreichte mich eines Tages der Lockruf gebus, wie so oft einfach Unwiderstehlich für mich.
Als Einstimmung am Weg zum Hochkönig hatte gebu für den Vortag noch eine kleine Canyoning-Tour (meine Erste überhaupt) und ein paar Caches vorgeschlagen.
Klar dass ich da nicht nein sagen konnte - schwerer Fehler #1.
Am Pass Lueg stiess dann unser dritter Part, StyrianBastards-D, zu uns. Vielleicht wäre ein langsamerer Partner für mich gesünder gewesen - schwerer Fehler #2. ;-)

Eine Canyoning-Tour, 2 gelegte Caches und 2 gefundene Caches später kamen wir nach einer kurzen Quartiersuche in einer netten Pension in Mühlbach an. Die Matratze war herrlich!


Die Fakten und die hohe Kunst des 1x1


Die nüchternen, schon vorher sehr wohl bekannten (aber verdrängten) Fakten - schwerer Fehler #3:
(ach, ich gebs jetzt besser auf die schweren Fehler zu zählen ;-) )
  • Seehöhe Parkplatz: 1342m,
  • Seehohe Einstieg Klettersteig 2310m
  • Seehöhe Ausstieg Klettersteig 2875m
  • Kletterhöhe: 1700m
  • Seehöhe Matras Haus 2941m
  • Geplante Streckenlänge: 16km
Summa summarum also etwa 1600hm aber knappe 3000hm im Aufstieg.
Die hohe mathematische Kunst des Addieren hatte ich damals wohl schon vergessen gehabt - schwerer F...


Der Aufbruch


Die freundlichen Wirtsleute der Pension waren eindeutig an 'verrückte' Wanderer gewöhnt, weigerten sich zwar uns um 04:30 ein frisches Frühstück zu serviern, die abends ins Zimmer gestellten riesigen Portionen mit Kaffee in Thermoskannen waren aber top!

Abfahrt um 05:00, zuerst Richtung Arthushaus wo wir ein Auto stehen liessen.
Um etwa 06:00 gings vom Parkplatz der Erichhütte los Richtung Morgendämmerung und was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte auch Richtung Abenddämmerung bzw. Nacht.
Ob das Frühstück daran schuld war weiss ich nicht, aber gewisse 'ähem' Störungen des Verdauungstraktes traten plötzlich auf und begleiteten mich brav die komplette Tour.

Zeitgleich mit uns startete auch eine etwa 10 köpfige (slowakische?) Wandergruppe gemischten Alters, darunter eine 91 jährige Oma - aber dazu später noch ein paar Worte.

Der Cache “HTC #3 Erichhütte” am Wegrand war rasch gefunden, als erste kurze Pause hoch willkommen. Die Hütte selbst ließen wir links liegen und erreichten nach etwa 2,5h und knapp 1000hm den Einstieg zum Klettersteig.

Bei einer normalen Wanderung würde ich hier schon sagen: 'danke schön wars' gemütlich jausnen und danach den Rückweg antreten, diesmal wars aber definitiv erst die Aufwärmrunde, lange lange sollte es noch weitergehen.

Während des Aufstiegs schon konnten wir das Panorama und den Verlauf des Klettersteiges bewundern, immer wieder begleitet von den Gedanken 'wirklich dort rauf?' Ja, ja und nein, die sägeblattähnlichen Zacken wurden nicht flacher, rückten aber erfreulicher Weise langsam immer mehr aus dem Blickfeld je näher wir uns dem Einstieg näherten.


Der Einstieg in den Klettersteig
Hier war sie wieder, die Wandergruppe vom Parkplatz und noch viele andere die sich in den Klettersteig einfädelten. Schon beim Einstieg ein Stau wo “überholen schwer möglich” gemurmelt wurde. Einige ungeduldige kletterten rechts vom Einstieg frei auf den Grat rauf, andere - wer glaubt dass gebu und Bastard-D einfach unten warten würden kennt die beiden noch nicht - links davon im Spreizschritt einen Kamin entlang rauf, ich hinten nach - schwerer F...

Schnauf, endlich oben am Grat: tief luftholen und umschauen - einfach traumhaft der Weitblick rüber zum Großvenediger, rauf auf den Hochkönig (das Matras Haus schon zum Greifen nah) - und da sind sie plötzlich wieder - die Zähne und Zacken, hämisch lachen sie herunter.

Die darauf folgenden Stunden und Höhenmeter waren ein Wechselbad an Gefühlen und Herausforderungen streng im Takt der einzelnen An- und Abstiege. Das Gemeine und Herausfordernde an dieser Route ist ja dass die Schwierigkeiten immer zunehmen, bis hin zum all die letzten Kraftreserven aussaugenden Ausstieg - puh!


Seilbrücke und Flying Fox

Echte Highlights waren die (zwar sehr kurze) Seilbrücke über die Teufelsschlucht, sowie der Flying Fox bei den Teufelshörndl.
Besonders der Zweitere hatte es mir angetan, nein nicht nur weil man sich lange anstellen musste um rüberzukommen.
Es ist einfach ein tolles Gefühl an so einem Seilspagat über eine Schlucht zu flutschen!


Der Fluchtweg
Wieder ein paar mal rauf und runter später kamen wir zum einzigen möglichen Notausstieg durchs Birgkar.
Aufgeben und umdrehen? Nur kurz spielte ich mit dem Gedanken, noch gings mir ja relativ gut.
Ähhh, erwähnte ich schon dass es danach erst richtig schwierig und anstrengend wurde?
Aber es lockte der Kummetstein, auf dem Gebu ja sein Doserl legen wollte ;-) - schwerer F...


Meine perönliche Schlüsselstelle
Aufstieg zum Kummetstein:
Nie habe ich in der Vergangenheit damit gerechnet einmal für eine einzige etwa 3m hohe Stelle gute 15 Minuten brauchen zu müssen. Leicht überhängend, justament genau an der schwierigsten Stelle, lag hinterhältiger Weise der Punkt wo es galt die Karabiner umzuhängen. Im ersten blauäugigem Aufschwung, an einer Hand hängend, die hinten nach schleifenden Karabiner raufziehen, endlich einen erwischen, grad noch aushängen und feststellen müssen dass ich ihn nie und nimmer mehr oben einhängen kann. Mit letzter Kraft wieder zurück runter. Auwaia! Flasche raus *gluckgluck*.
Den losen Karabiner am Rucksackträger einhängen, ja ich weiss das tut man nicht, aber kein Problem aufgrund der Tatsache dass ich im Falle des Falles sowieso am Vorsprung unten aufschlage und die 2. Sicherung 'nur' mehr das weiterkullern am Abhang abfangen muss. Zwei schnellere Kletterer lass ich noch vorbei - genaue Planung der nächsten Tritt- und Griffreihenfolge und 'hop'. Wieder hänge ich mit einer Hand oben, Karabiner vom Rucksack aus- und jaaa gerade noch oben einklinken, zu mehr reicht es nicht mehr.
Ich vertraue also erstmals auf die Stabilität von Gurt, Seil und Karabiner und lass mich zurückplumpsen! Überraschend bequem baumelnd den unteren Karabiner ausklinken und die nächster Erholungspause konsumieren, diesmal sogar mit Müsliriegel.
Bevor die nächsten Kletterer so nahe kommen dass sie mich zwecks Beseitigung der Blockade raufschupsen müssen, gelingt mir dann doch noch in einem letzten Aufbäumen der alles entscheidende Aufschwung - geschafft!


Der Cache
Endlich hab ich auch den Kummetstein 'erledigt', naja, umgekehrt würde wahrscheinlich eher zutreffen.
*Pause* - Inbrüstig hoffend dass Gebu lange suchen muss um ein passendes Platzerl für die Dose zu finden.
Aber Pustekuchen, so schnell hat er wahrscheinlich noch nie einen Cache versteckt, die Location sprang einem ja förmlich ins Auge. Also gleich wieder weiter.
Loggen durfte ich ihn wenigstens ;-)


Der Ausstieg

Runter vom Kummetstein und wieder rauf, diesmal der letzte Aufschwung. Nicht mehr allzuschwer aber sehr laange und doch noch einige Höhenmeter.
Und da waren sie wieder, Teile der slowakische Wandergruppe mit der 91-jährigen Oma.
Diese Oma die sich bei gebu über ihre 'lahmen Enkerl' beschwert hatte - *umpf*
Sie kamen mir immer näher, gebu und Bastard-D wähnte ich schon lange 'oben'
Endlich beim letzten Aufschwung winkte mir gebu schon fröhlich und ausgeruht entgegen.
Keine Ahnung wie, aber irgendwie schaffte ich es: endlich ooooben!
Oben? Naja, nicht wirklich...


Das Matrashaus und die Entscheidung

Nach einer wieder mal allzukurzen Pause gings weiter zum Matrashaus auf 2941m, vom Ausstieg aus zum Greifen nahe!
Es wurden definitiv die härtesten 100 Höhenmeter meines Lebens. Die in der Beschreibung erwähnten und als 'Vorteil für müde Bezwinger' prognostizierten 30min zur Hütte wurden eher zu 1,5h. Alle 20m eine kurze Verschnaufpause, mann war ich fertig!
Das war genau die Phase die zum Titel dieses Artikels führte: "Einfach hinsetzen und hinter mir die Sintflut."
Alles egal, irgendwer wird mich schon zusammenklauben und runterschleifen...

Aber irgendwie habe ich es doch noch bis zur Hütte geschafft.
Der Anblick des Gipfelkreuzes, der wahnsinnige Rundumblick, das Gefühl es doch noch derpackt zu haben - wuwuwu!
Ein erhebendes Gefühl, obwohl ich eher am Bankerl vor der Hütte gelegen als gestanden bin.


Der Abstieg und die Heimfahrt

Kurze Pause und kurze Diskussion wies weitergeht:
1.) Zurück durchs Birgkar zum Parkplatz der Erichhütte - die hässliche Geröllkraxlerei sprach mich nicht an.
2.) Übernachten auf der Hütte und am nächsten Tag rüber zum Arthurhaus, das wollte ich gebu nicht antun.
Blieb also nur
3.) Der sofortige Abstieg zum Arthurhaus - läpische 1400hm und knappe 10km 'runter' doch wohl kein Problem? - schwerer F...

Irgendwann gegen 17:00 sind wir vom Matrashaus losgestiefelt, einen entgegenkommenden Wanderer fragte ich wie lange es zum Arthurhaus dauere. "3-4 Stunden" meinter er und ob ich Lampen dabeihätte? Klar hatte ich, brauchte ich auch, ganz dringend sogar.
Vom Abstieg weiss ich wirklich nicht mehr viel, ausser der imposanten Torsäule blieb von der sicherlich schönen Wanderung nichts in meinem Gedächtnis hängen.

Gehen - verschnaufen - gehen. Immer wieder auf die wartenden Kameraden auflaufen - verschnaufen - gehen. 5 Stunden lang

Endlich beim Auto!
Wie gebu und Bastard-D nach dieser (Tor)Tour die Autofahrten nach Graz noch geschafft haben weiss ich nicht. Ich selbst wäre keinen einzigen Kilometer mehr gekommen ohne sofort tief schlafend den nächsten Baum zu rammen.


Nachlese
Was soll ich dazu sagen?
Mein bisher schwierigster Klettersteig, mein bisher höchster Gipfel und mitunter auch eine meiner längeren Wegstrecken.
Und auch jene Tour an der ich selbst die allerwenigsten Fotos geschossen habe.

Unbegreiflich für mich wie ich es trotzdem geschafft habe.
Aber schlicht und einfach wunderbar!

Warum ich erst heute, gut 1,5 Jahre 'danach' darüber schreibe?
Na lasst mir doch ein bisserl Zeit zum Luftholen :D

An dieser Stelle möchte ich mich nochmal bei gebu und Bastard-D bedanken.
Dafür dass sie immer so geduldig auf mich gewartet haben und dafür dass sie mich immer wieder aufs neue motiviert haben - und auch dafür dass ich hier ihre Fotos verwenden durfte ;-)

Ob ich die Tour nochmal machen möchte?
Ja, unbedingt und auf jeden Fall!
Nur ohne vorhergehender Canyoning-Tour, und vielleicht noch etwas besser konditionell vorbereitet.

orotl


Links
Beschreibung auf bergsteigen.at
Gebus Geocache "Köngisjodler"
Video auf Youtube
 
 

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